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Der Bischof von Leitmeritz Stanislav Přibyl zum 300. Jubiläum der Klosterbibliothek in Osek

Bistum Leitmeritz

09.11.2025

Non spectaculo, sed usui. Predigt anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Klosterbibliothek, Heilige Messe, Stiftskirche Mariä Himmelfahrt in Osek/Ossegg, Samstag, 8. November 2025, 10:00 Uhr.

Brüder und Schwestern,

heute feiern wir das dreihundertjährige Bestehen der Bibliothek in Osseg. Erlauben Sie mir, mit einer Einladung zu beginnen: Berührt mit euren Augen und eurem Herzen die Inschrift, die sie bewacht – Non spectaculo, sed usui: „Bücher sind nicht zur Schau da, sondern zum Gebrauch.“ Dieses Motto ist eine kleine Lektion des Evangeliums. Es lehnt den Glanz ab, damit wir einen Dienst empfangen können; es legt den Stolz beiseite, damit der Nutzen für den menschlichen Geist und die Seele hervortreten kann. Die Bibliothek ist kein Museum mit Papier, Buchstaben und schönen Bucheinbänden. Sie soll auch heute noch eine Werkstatt der Weisheit sein, ein Ort des Austauschs, ein lebendiger Wegweiser zur Wahrheit.

In der heutigen Lesung aus dem Römerbrief lobt der Apostel Paulus keine Trophäen, sondern Menschen - „Mitarbeiter am Werk Christi Jesu“ (vgl. Röm 16,3). Er nennt sie beim Namen, dankt ihnen und erinnert sie an die „Versammlung in ihrem Haus“ (Röm 16,5). Wie nah daran ist unsere Bibliothek! Ihr „Werk“ sind nicht die Bücherregale, sondern die Gemeinschaft, die um die Bücher herum entsteht: Lehrende und Lernende, (vielleicht eines Tages wieder) Ordensleute und Pilger, Gelehrte und diejenigen, die zu ihrem ersten Gespräch mit der Schönheit des Wortes kommen. Die Bibliothek bewahrt die Erinnerung, damit die Zukunft wachsen kann; sie bewahrt die Stille, damit die Sprache geboren werden kann. Und so wie Paulus am Ende seines Briefes alles in Lob verwandelt, schreiben wir heute alles Gute Gott zu, „der die Kraft hat, euch zu stärken“ (Röm 16,25).

Der Psalm lehrt uns den Rhythmus der Geschichte: „Ich will dich segnen alle Tage... Groß ist der Herr... Alle Stämme preisen deine Werke“ (Ps 145,2-4). Die Bibliothek ist eines der Instrumente, mit denen die Stämme das Licht weitergeben. In ihren Regalen kann man hören, wie Väter und Mütter zu Söhnen und Töchtern sprechen; Mönche reden mit Wissenschaftlern, Dichter mit Historikern, die Alten lehren die Jungen und die Jungen regen die Alten zum Nachdenken an. Wenn der Psalmist sagt: „Ich will deine wunderbaren Werke betrachten“ (Ps 145,5), erinnert er uns daran, dass Kontemplation und Studium keine Flucht vor der Welt sind, sondern ein Weg, Gottes Werke in der Geschichte und im Menschen besser zu erkennen.

Das Wort Jesu im Evangelium warnt uns jedoch davor, die Mittel mit dem Zweck zu verwechseln. „Auch mit ungerechtem Mammon könnt ihr Freunde gewinnen...“ und „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen“ (vgl. Lk 16,9.13). Bücher, Gebäude, Stipendien, Kataloge - all das ist „Mammon“, ein guter Diener, aber ein böser Herr. Er darf nicht zu unserem Ziel oder gar zu unserem Gott werden. Wenn sie der Wahrheit, der Liebe und dem Gemeinwohl dienen, werden sie zu einem Instrument der menschlichen Entwicklung und des menschlichen Heils: Sie helfen dem Menschen zu wachsen, sie lehren ihn, zu unterscheiden, sie öffnen die Tür zur Begegnung. Aber wenn sie zu bloßen Schaufenstern werden, verlieren sie ihre Seele. Die oben erwähnten Worte Christi sind der Schlüssel zur Inschrift: Eine Bibliothek darf nicht nur „zur Schau“ stehen, sie darf nicht zwei Herren dienen – dem Glanz und dem Nutzen. Sie gehört Gott und den Menschen. Und wer „in einem kleinen Ding treu ist“, dem wird mehr anvertraut (vgl. Lk 16,10). Auch hier wird die Treue am Fleiß beim Katalogisieren, an der Geduld im Forschungsraum, an der Freundlichkeit des Bibliothekars oder an der Ehrlichkeit der Zitate gemessen.

Wie feiern wir also dieses Jubileum heute? Am besten, indem wir uns wieder auf die ursprüngliche Absicht besinnen: usui – profitieren. Möge diese Bibliothek weiterhin eine Schule des Gewissens und des Geschmacks sein, ein Ort, an dem die Wahrheit mit Demut gesucht und mit Freude weitergegeben wird. Möge hier eine Gemeinschaft von Mitarbeitern entstehen, erhalten und weiterentwickelt werden, Menschen, die sich für ein Werk einsetzen, das letztlich das Werk Christi ist, indem sie Zeit, Geduld, Fachwissen und Gebet geben (vgl. Röm 16,3-4). Möge jeder Leser, Forscher oder Besucher gleichzeitig ein Kapitel in der lebendigen Chronik von Gottes Werken sein, die in dieser Bibliothek – wie im heutigen Psalm besungen - „alle Generationen“ gemeinsam schreiben (Ps 145,4).

Ich schließe mit einer Bitte: Herr, lehre uns, den Reichtum dieser Bibliothek zu nutzen, um ein Gedächtnis aufzubauen, das nicht nur ein Depot für Nostalgie ist, sondern eine Schatzkammer der Hoffnung. Möge das Echo des Psalms „All meine Tage will ich dich segnen“ in ihr zu hören sein – auch zwischen den Regalen und Karteien. Möge diese Bibliothek ein Zeichen deiner Weisheit inmitten unseres Landes bleiben: Non spectaculo, sed usui - nicht für das Spektakel, sondern für den Dienst; nicht zum Ruhm der Menschen, sondern zum Lob deines Namens – heute und in allen kommenden Jahrhunderten. Amen.

† Stanislav Přibyl
Bischof von Leitmeritz

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